Glücksspielreize im Alltag: Wie Jugendliche subtil beeinflusst werden

Ob Plakat am Kiosk, Werbung auf TikTok oder Casino-Tipps per Influencer – Jugendliche in Genf begegnen täglich dutzenden Reizen, die sie in Kontakt mit Glücksspiel bringen.

Eine neue Studie von Addiction Suisse im Auftrag des Kantons Genf zeigt, wie massiv diese Exposition ist – und wie unzureichend die Schutzmechanismen im digitalen Raum funktionieren.

Die Ergebnisse sind eindrücklich: Auf nur sechs typischen Alltagswegen von 16- bis 18-jährigen Jugendlichen wurden knapp 200 Glücksspielreize im öffentlichen Raum dokumentiert.

Mehrheitlich handelt es sich dabei um Werbung der Loterie Romande – über Sponsoring, Produktpräsenz oder Plakate.

Anders sieht es im Internet aus: Dort begegnen die Jugendlichen täglich Glücksspielinhalten – nicht nur von Schweizer Anbietern, sondern auch von illegalen Plattformen im Ausland.

Influencer präsentieren riskantes Spielverhalten oft als harmlosen Lifestyle – und Plattformen wie TikTok oder Instagram filtern diese Inhalte kaum.


Digital besonders gefährlich: Im Online-Raum verstossen viele Inhalte gegen das Schweizer Werberecht für Glücksspiel – oft werden sie über ausländische Anbieter oder soziale Netzwerke verbreitet.


Welche Glücksspielarten begegnen Jugendlichen im Alltag?

Glücksspiel ist nicht nur ein Thema für Erwachsene – viele Angebote begegnen auch Jugendlichen im Alltag, teils ganz offen, teils subtil verpackt. Die Studie von Addiction Suisse zeigt erstmals systematisch, welchen Formen von Glücksspiel junge Menschen in Genf tatsächlich ausgesetzt sind – sei es auf dem Schulweg oder beim Scrollen auf Social Media.

Im öffentlichen Raum: Werbung im Vorbeigehen

Auf den sechs untersuchten Stadtwegen wurden über 200 Reize gezählt. Die meisten davon stammen von der Loterie Romande, die in der Schweiz legale Produkte wie Lotto, Rubbellose oder Sportwetten anbietet. Diese Reize begegnen Jugendlichen unter anderem in Form von:

  • Plakaten mit Slogans wie „Träume verwirklichen – heute noch mitspielen“
  • Rubbellosen im Kassenbereich von Kiosken oder Supermärkten
  • Displays mit Wettscheinen und Glückszahlen zum Ausfüllen
  • Logos auf Plakaten für Kultur- oder Sportveranstaltungen („Sponsoring“)
  • Automaten für elektronische Lotteriespiele in Restaurants oder Cafés
  • Glücksspielspielzeuge (Bingo, Poker) in Kinderabteilungen von Warenhäusern

Beispiel: In einem Schaufenster wurde ein Stand mit 18 verschiedenen Rubbellosen fotografiert – direkt neben Schokolade und Zeitungen. Daneben: ein Tisch mit Tippscheinen für Sportwetten.


Im digitalen Raum: Zwischen Influencern, App-Stores und Casinos

Die Onlinewelt ist noch herausfordernder: Über 210 Glücksspielreize wurden bei 91 Stunden Social-Media- und Internetnutzung erfasst – mit teils alarmierenden Inhalten:

  • Influencer zeigen Casino-Besuche als Teil ihres Luxus-Lifestyles
  • Tipps für Sportwetten mit vermeintlicher „Expertenmeinung“
  • Werbung für Online-Casinos mit Bonusversprechen („Jeder Spin gewinnt“)
  • Apps mit Glücksrad oder Rubbellos-Simulationen – ohne Altersverifikation
  • Clips mit emotionalen Gewinnszenen („Ich habe 20’000 CHF gewonnen!“)
  • Illegale Werbung für ausländische Anbieter, z. B. via Instagram oder Streaming-Plattformen

Fast die Hälfte dieser Inhalte stammt von nicht in der Schweiz zugelassenen Anbietern. Besonders problematisch: Viele Inhalte wirken harmlos oder unterhaltsam – sie verstecken ihre Risiken hinter Humor, Glanz und Belohnung.


Wichtig zu wissen: Viele Plattformen wie TikTok oder Instagram filtern solche Inhalte unzureichend. Eine funktionierende Altersverifikation fehlt fast immer – Jugendliche können problemlos auf Glücksspiele oder Werbung dafür zugreifen.

Warum diese Reize so gefährlich sind

Die Studie zeigt, dass Glücksspiele auf Social Media oft romantisiert oder als „cool“ dargestellt werden. Die Risiken – Abhängigkeit, finanzielle Verluste, psychischer Druck – kommen kaum vor. Besonders problematisch ist, dass viele Jugendliche diese Inhalte nicht als Werbung erkennen. Dadurch verankert sich früh die Vorstellung, dass Glücksspiel etwas Alltägliches, Harmloses oder sogar Erstrebenswertes sei.

Für Eltern bedeutet das: Selbst wenn Ihr Kind keine Glücksspiele spielt, kann es täglich Dutzenden dieser Reize begegnen – unbewusst und unbeeinflusst. Prävention beginnt also nicht erst beim Spielen, sondern schon viel früher: bei der Wahrnehmung und Bewertung solcher Inhalte.

Die Studie zeigt ausserdem: Die meisten Jugendlichen erkennen die Reize kaum als solche. Viele Inhalte sind in humorvolle Clips oder scheinbare „Expertentipps“ verpackt. Das Risiko, dass Glücksspiele dadurch als normaler Teil des Alltags wahrgenommen werden, ist hoch.

„Die gesammelten Inhalte geben klar Anlass zur Sorge“, sagt Nicole Egli Anthonioz von Addiction Suisse. „Vor allem im digitalen Raum fehlen klare Alterskontrollen – Minderjährige werden regelmässig mit Glücksspielinhalten konfrontiert, obwohl dies gesetzlich verboten ist.“


Fakten aus der Studie:

  • 200 Reize im öffentlichen Raum in Gen
  • 211 Reize bei Online-Nutzung in 91 Stunden
  • 54% der Online-Reize stammen von legalen Schweizer Anbietern
  • 46% von illegalen oder ausländischen Quellen


Was Sie als Eltern tun können

  • Sprechen Sie mit Ihrem Kind offen über Glücksspiel und mögliche Risiken.
  • Installieren Sie Jugendschutzfilter – vor allem bei Social Media und YouTube.
  • Seien Sie achtsam, wenn Influencer „Tipps“ zu Sportwetten oder Lotterien geben.
  • Vermeiden Sie selbst Spiele wie Rubbellose oder Lottoscheine als „Spass für Zwischendurch“ – Kinder schauen genau hin.

Die Forscher empfehlen dringend, Plattformen stärker in die Pflicht zu nehmen: Nur eine echte Altersverifikation könne verhindern, dass Minderjährige riskanten Inhalten ausgesetzt sind. Auch im öffentlichen Raum brauche es strengere Regeln für Glücksspielwerbung in der Nähe von Schulen oder Freizeiteinrichtungen.

Der vollständige Bericht wird am 5. Internationalen Symposium zum Thema Glücksspiel in Caux vorgestellt.

Für Eltern ist er schon heute ein dringender Weckruf.

 

Quelle: elterntipps.ch-Redaktion/Kanton Genf/Egli Anthonioz N., Wicht S. (2025). Exposition au marketing et autres stimuli liés aux jeux de hasard et d’argent dans le quotidien des jeunes de la Ville de Genève – Rapport de recherche N° 178. Lausanne: Addiction Suisse. DOI: 10.58758/rech178
Bildquelle: Symbolbild © Davizro Photography/Shutterstock.com

MEHR LESEN